Grashalmleasing von Christina Jonke

Eva hat ein eigenes Paradies, und da sie es sich gekauft hat, kann sie auch nicht daraus vertrieben werden. Genau genommen könnte sie schon, wenn sie die Kreditraten nicht pünktlich einzahlt – aber daran will sie nicht denken. Schön ist es. Exorbitant schön sogar. Aber dieses exorbitant schöne Para- dies macht Arbeit, und das nicht zu knapp: verti- kutieren, Rasen mähen, unerwünscht Wachsendes entfernen (vulgo Unkraut jäten), Hecken schnei- den, Gartenmöbel putzen und so weiter und so fort. Das ist die dunkle Seite. Selbstredend gibt es somit auch eine helle Seite mit Vergnügungen wie zum Beispiel Gemüse und Blumen pflanzen, gie- ßen, ihnen beim Wachsen zusehen und die Früchte der Pflege schließlich ernten und essen, konservie- ren und verschenken. Evas paradiesischer Vergnü- gungsfavorit ist das fantasievolle Binden von extra- vaganten Blumensträußen, die sie dann meist ihrer Nachbarin Ana zum Geschenk macht – sozusagen als „Bezahlung“ für die Auszeit, die Eva in deren Garten verbringt.

Wer Eva besucht, kann kaum glauben, dass sie an so manchem Sommertag aus ihrem Paradies flüchtet, regelrecht danach trachtet, ihm zu entkommen, obwohl sie im Vorfeld den ganzen Winter über für die Komplettierung gespart hat, eisern Euro für Euro in die Gartenkasse hat klimpern lassen.

Das alles will sie dann nicht sehen und schon gar nicht pflegend bearbeiten: Den kleinen Teich, an dem eine einladende alte Holzbank steht, bestens für Träumereien geeignet. Die üppigen Büsche an der Grundstücksgrenze – eine duftende Kompo- sition aus Hartriegel, Pfeifenstrauch und Deutzie –, denen ein romantisches Tête-à-Tête-Sitzmöbel zur Seite steht, das meist verwaist seine Bestim- mung bestimmt schon vergessen hat. Die char- mante Bank, die sich als kecke Partnerin einer historischen Rose versucht und im vorderen Gar- tenbereich zum Plaudern mit Passanten lockt. An dieser Stelle kann sich Eva einen kleinen – zuge- geben kitschigen – Springbrunnen vorstellen. Und was ihr in ihrer Ansammlung von Verweilplätzen im Garten noch fehlt, sind ein regensicherer Pa- villon – am liebsten einer, der die Bauweise der Wörtherseearchitektur aufnimmt, passend zu ih- rem kleinen Landhaus, das auch aus dieser Zeit stammt – und ein Must, wie Eva findet, ein Stei- nensemble aus Tisch und zwei Bänken an einem sonnigen Platz – ja, vielleicht sogar dort am Teich, statt der alten Holzbank. Aber nicht nur die Mö- blage des weitläufigen Gartens geistert Eva durch den Kopf, nein, auch das Anlegen einzelner Beete: Seit sie ihr geliebtes Staudenbeet im Vorgarten we- gen Renovierungsarbeiten hat aufgeben müssen, geht sie mit dem Gedanken schwanger, anderswo in ihrem Reich ein solch buntes, von Akelei, Son- nenhut, Cosmea, Ringelblumen, Farn, Rosen und sonstigen Kostbarkeiten durchwirktes Beet anzu- legen. Und weil sich der sanft ansteigende Hügel, der auch noch zu ihrem Paradies gehört, anbietet, träumt sie von einem kleinen künstlich angelegten, plätschernden Bachlauf und ... Genau das treibt Eva zur Nachbarin, zu Ana. Exakt diese vielen Plä- ne, Wünsche und damit einhergehenden perfekten Bilder will Eva manchmal hinter sich lassen – und das kann sie nicht, solange sie sich in ihrem eige- nen Garten befindet. Es geht einfach nicht. Trotz vieler Anläufe und Versuche – sobald sie sich in einen ihrer Gartenstühle setzt, muss sie sofort wieder aufspringen. Da ein wenig ordnen, dort etwas abschneiden, und schon übertölpelt sie wieder so eine Gestaltungsidee. Eva findet in ihrem Paradies keine Ruhe!

In Anas Garten ist keine Spur penibler Gartenpla- nung und -pflege zu finden, obwohl sie sich, nach einer satten Erbschaft, locker eine ganze Armada von Gärtnern leisten könnte – das jedenfalls wird in der Nachbarschaft kolportiert. Bei Ana wächst alles, wie es will. Chaos pur. Nein, das wäre zu sim- pel betrachtet. Jeden Frühling sieht Eva, wie Ana Blumen und Stauden in die Erde bettet. Ist dieser Akt vollbracht, lässt Ana sich aber konsequent von der besten Gärtnerin, die es überhaupt gibt, unter- stützen – Mutter Natur darf sich hier ungehindert ausleben. Zwischen den Brennnesseln behaupten sich üppige Akeleistauden als wahre Schönheiten in vielen Farben. Lupinen ziehen den Bäumen am Wiesenrand lila Dessous an, und zwischen den wil- den Bäumen und Sträuchern rankt sich tapfer eine echte Diva von Waldrebe. Was für eine Augenweide in einer Atmosphäre, die ruhiger atmen lässt, das Tempo drosselt. Ein Garten als Ort der Geduld, des Wartens, der Kontemplation. So weit der Prolog zu folgendem Geschehen:

Eva und ihr Liebster Xaver geben ein rauschen- des Gartenfest, das Statussymbol Garten muss ja gebührend präsentiert werden – wie mühsam dieser Luxus finanziert wird, tut hier nichts zur Sache. Pracht ist angesagt. Als leidenschaftliche Gartengestalterin hat Eva keine Mühen gescheut, ihr Reich mustergültig in Szene zu setzen. Fa- ckeln, leuchtende Lampions, Gartenlichter in al- len Farben, Feuerstellen und Gourmethäppchen, aus internationalen Kochbüchern abgeschaut und stilvoll auf ausgesucht schönes Geschirr drapiert, laden ein, die Party buchstäblich mit allen Sinnen zu genießen. Und die Gäste tun das auch ausgie- big. Eva strahlt, Xaver prahlt. Alles ist perfekt – es scheint das Gartenfest der Saison zu werden. Eva bekommt als Gastgeberin Blumen: für die Vase, für den Garten, zur Dekoration aus Filz, gefällig auf Servietten gedruckt und handgemalt auf einem kostbaren Schal. Sie freut sich, man plaudert, trinkt, isst und bewundert Evas Paradies. Ovati- onen nimmt sie huldvoll und durchaus verdient in Empfang.

Stunden später. Eva plaudert angeregt mit Thomas, einem Schauspieler, der ihr von seinen Schwierig- keiten mit Richard III. erzählt. Spannend. Im Augen- winkel registriert sie, dass Xaver absolut selbstver- gessen mit ihrer Schwester Anja tanzt. Die beiden mögen sich – vom ersten Augenblick des Kennen- lernens an haben die beiden ihr Herz füreinander entdeckt. Aber der Mann der Schwester ist tabu – darauf vertraut Eva, schon seit Jahren. Bis dato zu Recht. Darob ein wenig abgelenkt von ThomasÐ Ausführungen bemerkt Eva, dass bis auf Ana und deren Freundin Susanne keiner der Gäste mehr auf der Terrasse ist. Wohin sind alle verschwunden? Interessant. Egal. Sie wendet sich wieder „ihrem“ Schauspieler zu, der Evas kurzen Ausstieg nicht be- merkt zu haben scheint. Ihre ungeteilte Aufmerk- samkeit bekommt er allerdings nicht mehr, denn ihre Gedanken gehen auf Reisen. Da hört sie vom Pool her ausgelassenes Plantschen. Niko und Ca- roline? Das kann nicht sein! Caroline ist doch erst seit drei Monaten mit Stefan verheiratet. Nein. Sie hat sich wohl verhört.

... Und als der Regisseur dann von mir verlangte, dass ich in die Knie gehen soll
– also nein. Da hat der die Rechnung ohne Thomas Schön gemacht, das sag ich dir! Wie? Ach so. Ja. Richard III. Entschuldige bitte. Ich hol uns noch ein paar Datteln, ja?

Thomas nickt begeistert, und Eva verschwindet Richtung Küche – aber nur, um sofort aus der Haustür zu schleichen, sich in Richtung Pool zu begeben und hinter der großen Buchsbaumkugel versteckt auszuspionieren, was da vor sich geht. Unglaublich! Tatsächlich plantschen Niko und Ca- roline – so wie sie es vermutet hat – in ihrem Pool. Hüllenlos. Ausgelassen. Verspielt. Und sie können ihre Hände nicht voneinander lassen. Andererseits: warum auch nicht. Sie haben einfach nur Spaß, und außerdem sind hier alle erwachsen. Aber wo ist eigentlich Stefan? Caroline ist seine Frau. Soll er doch selber auf seine Angetraute aufpassen! Sie ist hier ja nur die Gastgeberin, nicht die Moralbeauftragte.

Leise wendet Eva sich ab und entdeckt im selben Moment – romantisch mit Fackeln beleuchtet – ein Pärchen, das sich vis-à-vis ins Hochbeet beugt. Sie macht sich auf den Weg zu den beiden und erkennt Stefan und Alexa. Evas Schritte werden zögernd. Kichernd steckt Alexa Simon etwas in den Mund. Er spielt damit, Alexa beugt sich weiter zu ihm hin und beißt von der aus Stefans Mund ragenden Mignongurke ab.

Na ihr beiden, habt ihr gerade den Gemüseflirt erfunden?
Erschrocken, nein, richtig ertappt zucken die bei- den zusammen.

Wir haben nur ... also dein Hochbeet, Eva ... Respekt.
Lasst euch bloß nicht stören, ihr beiden, Niko und Caroline haben ja auch ihren Spaß im Pool.

Also, wir haben hier nur herumgealbert, Eva! Nicht dass du womöglich denkst, dass wir ... Wir hatten keine Absichten, wirklich nicht, das musst du mir glauben.
Ach, weißt du, nach drei Monaten Ehe, da braucht man wahrscheinlich schon ein wenig Abwechslung. Ihr könnt ruhig weiter- ernten – ich geh wieder auf die Terrasse zu meinem Mojito.

Pflichtschuldig schließen sich die beiden Eva an. Plötzlich bleibt Alexa stehen, deutet, leise zu sein. Die drei horchen – und da: Im Schimmer eines roten Gartenlichts sitzen Hannes und Barbara, wild gestikulierend. Es ist offensichtlich, sie streiten – aber im Flüsterton. Die drei Beobachter schieben die Äste des schützenden Fliederstrauchs beiseite, um dem Wortgefecht besser folgen zu können.

Ich hab dir gesagt, dass ich dich nicht mehr sehen kann. Respektiere das. Bitte!
Aber ich bin hier genauso eingeladen wie du – warum hätte ich nicht kommen sollen? Du kannst hingehen, wohin du willst – so- lange du mich nicht stalkst.

Ich? Dich? Stalken? Träum weiter!
Und warum holst du dir deine Häppchen

immer von dem Tisch, an dem auch ich grad stehe?
Zufall! Purer Zufall!
Wer’s glaubt!

Meine Frau hat schon so komische Andeu- tungen gemacht.
Ach? Ich bin doch ohnehin mit Simon da. Also, was sollte da auffallen?

 
 

Niemand glaubt, dass Simon dein Freund ist.
Warum nicht?
Weil er keinen normalen Satz zustande bringt. Weil er nach altem Schweiß riecht. Weil er ein unappetitlicher Kerl ist. Weil er völlig gammelig gekleidet ist. Weil ...

Es ist gut, dass ich Simon mitgebracht habe.
Warum?
Weil du eifersüchtig bist.

Blödsinn.

Du liebst mich noch immer.
Eva zupft ihre beiden Begleiter am Ärmel, damit sie weitergehen.

Ich hätte Barbara nicht einladen sollen,

entschuldigt sich Eva – auch flüsternd. Doch Alexa kontert, dass sie diese spannende Zu- sammenstellung an Gästen wirklich bewunderns- wert findet.

Jeder kann mit jeder.
Ganz so stimmt das wohl nicht – aber viel- leicht solltest du als Gastgeberin jetzt bald dafür sorgen, dass die Paare wieder in ihrer richtigen Konstellation zusammenkommen – damit nichts passiert, was nachhaltige Veränderungen zur Folge hätte.

Das sieht Eva ein. Kurz überlegt sie, dann geht sie ins Wohnzimmer, um von dort aus ihren Pflichten nachzukommen. Sie sucht am Computer mitrei- ßende Salsamusik aus, dreht den Lautstärkeregler bis zum Anschlag – Göttin sei Dank ist die einzige Nachbarin ja ohnehin hier zu Gast und wird sich also nicht wegen einer überschrittenen Dezibel- grenze beschweren. Auf der Terrasse schnappt sie sich ihren Mann und legt einen kessen Tanz hin – das regelmäßige Training zahlt sich eben aus. Die heißen Klänge locken die Gäste allesamt auf die Tanzfläche, die Beziehungen scheinen vorerst ge- rettet, und die Nacht wird noch lang.

Am übernächsten Tag. Alles hat wieder seine Ord- nung, alles ist wieder an seinem Platz, wahrschein- lich. Aber genau um dieses „wahrscheinlich“ kei- ner näheren Überprüfung unterziehen zu müssen, ist Eva zu Ana geflüchtet und lässt sich von der Hängematte schaukeln. Stille. Nein, Vogelgezwit- scher in schönster Ausführlichkeit. Eva genießt das süße Nichtstun, die wilde Vegetation, den blü- henden Rosenstrauch, der mit seinen unbeschnit- tenen Ausläufern die Äste eines Essigbaumes um- armt. Schön! Einfach schön. Warum können wir Menschen nicht einfach die Natur genießen und schön finden, wie sie wächst? Wie wundervoll so eine natürliche Blumenwiese aussieht, bunte Blü- ten in allerlei Formen, dazwischen auflockernde Gräser – wie ein sorgsam zusammengestellter Blumenstrauß! Eva lässt den Blick schweifen und holt sich Inspirationen für eigene Blumenarran- gements. Eine einzelne Dotterblume ragt selbst- bewusst aus dem Gras. Eine perfekte Grazie. Sie wächst da, wo der Boden für sie passt. Und wo er nicht passt, da ist sie nicht zu finden. Das würde uns Menschen auch guttun, blitzt es Eva durch den Kopf. Warum müssen wir einen Garten kultivieren, Pflanzen praktisch vergewaltigen, indem wir sie an Plätze setzen, die ihnen gar nicht guttun? Dünger, Wasser, „Kopfstand und Purzelbaum“ einsetzen, damit sie an falschen Plätzen wachsen? Gut, das mit den Brennnesseln müsste nicht sein, denkt Eva in einem Anflug von Perfektionismus mit dem Blick unter besagten Essigbaum und will sich schon aus der Hängematte zur Beseitigung des Übels bewe- gen, lehnt sich aber im letzten Moment wieder zurück – es geht sie schließlich nichts an. Genau deshalb kommt sie ja so gern in Anas Garten. Weil die Arbeit, die sie hier sieht, sie nicht dazu bringt, sofort aufzuspringen, um sie zu verrichten. Hier kann ganz sie ganz entspannt ihre optischen Hot- spots setzen und sich ausschließlich dem Augen- schmaus widmen, ohne für die eventuell zu ent- deckenden Makel verantwortlich zu zeichnen. Da bringt Ana, die Wildwuchsförderin, auch schon den selbst gemachten Holundersaft.

Du und die Natur, ihr seid die besten Gärt- nerinnen.
Ja, und die Faulheit hilft auch mit.
Ich beneide dich.

Ach was. Jede, wie sie kann.
Plötzlich durchschneidet ein lautes Brummen das Idyll und ein heftiges Zittern den Boden.

Ein Erdbeben!

Nein. Der Bagger, vermutlich.
Ana öffnet das Gartentor mit der Fernbedienung, und tatsächlich steht ein riesiger Bagger davor, der auch schon auf die beiden Frauen zurollt.

Was ist hier los? Willst du deine Wildnis roden?

Nein, Eva, von wollen kann keine Rede sein. Ich muss.
Warum muss man seinen Garten dem Erd- boden gleichmachen? Du willst auch einen Pool, oder? Nein. Einen Schwimmteich? Schön wäre es, Eva.

Unterdessen hat sich der Bagger schon bis in die Mitte des Gartens vorgearbeitet, und ein Lastwa- gen folgt ihm mit Getöse. Nein, nicht einer – drei! Ende der Stille. Mit grober Schaufel gräbt sich der Bagger in die Wurzelhöhle des gerade noch so bewunderten Rosenstrauchs. Entwurzelt fällt der Essigbaum um. Die Erde würzt mit dichten Staubpartikeln die stehende Luft – der ganze wildeGarten scheint erstarrt, ebenso Ana und Eva, die das grausame Schauspiel beobachten.

Alles auf den Laster und weg.
Wohin weg?
Recycling, Kompost, Second-Hand-Garden – keine Ahnung.
Ich dachte, du willst einen so verwilderten Garten. Wenn du möchtest, machen wir ge- meinsam Ordnung! Aber schick bitte diese Berserker weg!
Das geht nicht. Zu spät.
Wieso zu spät? Es ist noch nicht so viel pas- siert. Komm, wir stoppen den Wahnsinn. Nein.
Ana, wir schaffen das. Ich hab doch gesagt, dass ich dir helfe.
Das geht nicht, glaub mir.
Alles geht. Du weinst ja, Ana! Jetzt sag mir endlich, was hier abläuft!
Ich kann meine Leasingraten nicht mehr zahlen.
Was haben Leasingraten mit deinem Garten zu tun?
Ich habe ein Gartenleasing abgeschlossen. Gartenleasing?! Du hast ein... – das gibt es? Wie du siehst!
Ich weiß, dass man vieles leasen, mieten oder was weiß ich wie nutzen kann. Aber

von Gartenleasing hab ich noch nie etwas gehört.
Ich dachte, es wäre die perfekte Lösung. Besitz ist out, man least.

Wie? Besitz ist out? Du hast doch eine wah- re Schottergrube geerbt, oder nicht?
Ha. Das hat sich also herumgesprochen, ja? Klar. So etwas bleibt kein Geheimnis.

Ich hab so ziemlich alles falsch angelegt – es ist nichts mehr übrig davon.
Oh.
Das hat sich also nicht herumgesprochen? Offenbar nicht. – Und dann kommen die echt und machen Tabula rasa! Unglaublich. Nicht nur das – ich glaube, wenn die mit ihren Geräten wieder weg sind, wächst da auch nichts mehr. In Jahren nicht. Alles hin, verdichtet, tot. Aber egal. Es gehört mir ja nichts. Nicht einmal die Erde, auf der das Gras wächst. Die nehmen sie sicher auch mit. Worauf sollte also etwas gedeihen können?

Und das Gemüse?
Kommt auch weg.
Aber das hast doch du gepflanzt, gepflegt. Ich hab die Leasingraten drei Monate nicht bezahlt! Verstehst du nicht?
Also wirklich, Ana. Warum hast du nichts

gesagt. Ich hätte, wir hätten dir doch Geld leihen können.
Nein, nein. Das hätte ich niemals gewollt, Geld von Freunden. Das brennt: Es brennt die Freundschaft aus. Außerdem brauchst du ja selber jeden Cent für dein Paradies. Aber dass ich jetzt neben nackten Felsen wohnen muss, das ist okay? Für dich? Da brennt die Sonne drauf, dass mein eng- lischer Rasen im Nullkommanix einem Sonnenbrand zum Opfer fällt – bei der Widerhitze!

Entschuldige, daran hab ich nicht gedacht. Ich kauf dir einen Sack Erde, und du säst wenigstens Gras auf deine Felsen!
Ist gut.

Und die Bäume gehören dir auch nicht? Nein. Nicht einmal diese Lupine dort. Nicht einmal die Brennnesseln.
Das kann doch nicht sein!
Im Vertrag steht, dass alles, auch das,
was von alleine wächst, sich eigenständig versät, der Leasinggesellschaft gehört. Und wenn man die Raten nicht bezahlt, ist man schnell alles wieder los. Alles!
Aber wer sagt denn, dass nicht Samen von meinem Garten in deinen getragen wurden? Das ist doch dann Raub... ich meine, du

kannst den Samen von mir aus ja gerne haben, aber die Leasingwölfe sicher nicht! Du bist lieb. Aber Vertrag ist Vertrag. Mit diesen Finanzfetzen will ich mich ehrlich gesagt nicht streiten, das ist sinnlos. Und sicher teuer.

In der Zwischenzeit hat der Bagger ganze Arbeit geleistet. Das Naturparadies gleicht einer Karst- landschaft. Die Ladeflächen der Lastwägen sind voll, im Konvoi verlassen die Zerstörer das ge- schändete Gelände. Zurück bleiben Ana und Eva – beide fassungslos.

Hast du auch andere Leasingverträge? Nein, nur den.
Ich schon. Bloß für das Haus und den Gar- ten nicht, dafür laufen ganz normale Kre- dite. Aber sonst – alles geleast: Waschma- schine, Trockner, die Küche samt Geräten, Auto, Fernseher, Computer, alles – auch die Wohnzimmereinrichtung. Es gehört uns eigentlich nichts.
Na ja. Besitz belastet – sagt man.
Schon. Trotzdem ... Schön wäre es schon, wenn man etwas Eigenes hätte. Oder?
Du meinst wie zu Großmutters Zeiten? Be- scheiden, aber mein?
Ja. Warum nicht. Es muss nicht unbedingt klein und ärmlich sein ... ❖

«« zurück