Leseprobe: Sushi Taxi

1 - Das kleine Schloss am Wörthersee

 

Auf in die bunte Herbstzeit! Blauer Himmel. Fünfundzwanzig Grad Lufttemperatur. Der Altweibersommer taucht alles in ein schmeichel­haft goldenes Licht.

Höchste Zeit für eine Inspektion der sechs Camping-Lodges, denkt Sabine Sonne, während sie in ihre bequemen Laufschuhe schlüpft, sich ihren alten Hoodie schnappt, ihr Handy und eine Taschenlampe.

„Bella, kommst du!“, ruft sie ihre Tochter. Pünktlich am 30. September ist Bestandsaufnahme und Saisonschlussputz dick im Kalender ein­getragen, da fährt die Eisenbahn drüber. Da gibt es keine Ausreden und auch keine anderen Unternehmungen. Entsprechend anderer Vorstellungen ihr junges Leben zu gestalten, kommt Bella schlurfend und unmotiviert die Treppe der kleinen und schon etwas in die Jahre gekommenen Pension heruntergestapft.

„Eigentlich wollte ich zu Lisa“, beschwert sich die gerade noch Vierzehnjährige.

„Wir wollten meine Party planen!“

Sabine seufzt. Ja, sie hat Verständnis, ist aber auch auf Bellas Hilfe angewiesen, seit der liebe - oder eigentlich ganz und gar nicht liebe, sondern höchst gewaltbereite - Gustav das Weite gesucht hat. Er hat sich neu verliebt und Sabine hofft, dass die neue Frau in Gustavs Leben sich seine „lockere Hand“ nicht gefallen lässt. Sie hat es sich nicht nehmen lassen, ihre Nachfolgerin zu warnen, war aber froh, dass Gustav neue Wege ging. Einziger Wermutstropfen: die doch immer wieder anfallenden Handwerks­arbeiten an den Mobilhomes! Gustav war ein Künstler der kreativen Reparaturen. Es wird sich ein Ausweg finden, denkt Sabine zuversichtlich.

 

„Warum heißen unsere Gästehäuser eigentlich so old school“, nör­gelt Bella pubertätsentsprechend. „Das kleine Werzer´s!“ Wer kennt schon das große Werzer´s? Diesen überteuerten alten Kasten, in dem sicher nur versnobte Mumien absteigen.“
Sabine wäre überglücklich, hätte sie in ihrem kleinen Beherber­gungsbetrieb nur halb, so finanzkräftige Gäste. Dann könnte sie die eine oder andere Serviceleistung tatsächlich berechnen und nicht einfach gratis zur Verfügung stellen: Täglichen Wäschewechsel für Allergiker, Hundezaun und Agilityelemente für die mitgebrachten Haustiere zum Beispiel. Was könnte sie sich nicht noch alles einfallen lassen, damit der Aufenthalt am Gelände für die Gäste noch schöner, entspannter und attraktiver wäre!

  

„Oder: „Das kleine Lake´s?“, dringt Bellas nörgelnde Stimme an Sabines Ohr. „Was ist denn am großen Lake´s bitte so toll, außer, dass es direkt am Wasser steht, in einer zugegeben schönen Bucht? Cooler wäre doch vielmehr „House of Hogwarts“ oder „Wonderland“ oder was weiß denn ich?“

Damit reißt Bella auch schon die Tür von „Das kleine Schloss am Wörthersee“ auf und bleibt abrupt stehen.

„Was ist denn hier los? Schau mal, Mam! Da wohnt noch jemand“, ruft Bella laut über die Schulter, weil Sabine beim „Kleinen Parkhotel“ das schief hängende Namenschild wieder gerade hängt.

„Wie, da wohnt wer? Wer soll denn da wohnen? Es sind alle Gäste abgereist!“

Sabine kommt herbeigeeilt, zwängt sich an Bella vorbei ins Innere des Mobilhome und erstarrt. Sofort prüft sie das Türschloss. Es ist nicht beschädigt. Bella geht ins Bade­zimmer.

„Alles da, Mam. Zahnbürsten, Deo, Nassrasierer, Handtuch.“

Sabine geht hin um sich selbst zu überzeugen. Das Handtuch würde einen ausgiebigen Waschgang benötigen. Bartstoppel im Waschbecken. Eklig. Daneben eine eineinhalb Liter Flasche Was­ser. Für die notdürftige Reinigung gedacht? Das Fließwasser ist doch noch gar nicht abgedreht. Das schaltet sie üblicherweise erst nach der Putzaktion ab. Vielleicht wollten diese Menschen hier nicht durch den Wasserverbrauch auffallen.

Zumindest zwei Menschen haben sich hier also eingenistet, ohne dass sie etwas davon bemerkt hat. Seltsam. Auch weil es doch in der Nacht schon unangenehm frisch ist. So ein Campinghaus hat schließlich keine Heizung! Wozu auch?

Der Kühlschrank ist ohne Strom, wird hier aber zur Aufbewahrung von Wurst, Essiggurken und Brot verwendet, zeigt ihr der Blick ins Innere.

Benutztes Geschirr steht herum. Eine Jacke hängt über einem Stuhl und auf dem Doppelbett liegen zerwühlte Decken. Ohne Bettwäsche sind die Decken eher rau, unangenehm.

„Wahrscheinlich schlafen die Leute in Vollmontur“, überlegt Bella laut. „Womöglich kommen die auch gleich wieder zurück!“

Sabine nickt, das denkt sie auch. Ihre Gäste rechnen nicht mit ihnen als Reinigungs- und Renovierungstrupp.

„Mh ... Mam schau einmal da! Die lassen es sich hier gut gehen: Es gibt Ravioli, Tortellini, Ananas, Gulasch. Unsere Gäste sind Dosenfein­schmecker.“

Der Vorrat lässt vermuten, dass die Leute gedachten sich länger hier einzunisten. Sabine entdeckt auch einen kleinen Campingkocher. Der gehört nicht zur Ausstattung. Den müssen sie sich selbst organi­siert haben. So also sorgen sie für warmes Essen und womöglich auch für eine höhere Raumtemperatur am Abend. Gefährlich!

Wie lange diese Gäste wohl schon hier sind? Bella schaut in den Müll­eimer. Der verrät, dass die Hütte schon ein paar Tage bewohnt sein muss.

„Wir müssen die Polizei rufen“, meint Sabine und holt auch schon ihr Handy hervor.

„Aber, Mam! Wozu denn? Es ist doch nichts kaputt. Nicht einmal das Schloss. Wir können gar nicht beweisen, dass die eingebrochen sind. Bist du nicht neugierig, wer die sind?“

Das kann Sabine klar verneinen, im Gegenteil. Ihr ist überhaupt nicht wohl bei der Sache. Womöglich sind es Flüchtlinge. Womöglich sind sie bewaffnet. Womöglich ... Sie will sich gar kein weiteres Horrorsze­nario ausdenken.

„Hätte ich nicht gedacht von dir“, Bella ist enttäuscht ob der Reaktion ihrer Mutter.

„Außerdem heißt das nicht Flüchtlinge, Mam. Man sagt Geflüchtete. Und die haben viel mehr Angst vor uns, als wir Respekt vor ihnen. Die brauchen doch unsere Hilfe! Also wenn das Geflüchtete sind die hier wohnen, dann lassen wir sie hierbleiben, Mam, bitte!“

Ihre gutherzige Bella! Sabine muss schmunzeln. Sie erinnert sich daran, dass sie in Bellas Alter genauso war: Hilfsbereit und aufmerksam fremden Men­schen gegenüber, aber blind, wenn es darum ging in der Familie mit anzupacken.

„Wenn es wirklich Geflüchtete sein sollten, dann kön­nen sie meinetwegen hier wohnen bleiben, bis sie etwas Wärmeres gefunden haben. Aber dafür müssen sie uns bei unseren Arbeiten schon ein bisschen helfen. Du hast sicher Recht. Ich bin auch schon der blöden Angstmache dieser Ausländer-raus-Bagage aufgesessen.“

„Du bist die Beste, Mam“, fällt ihr das Mädchen um den Hals.

„Wir schreiben ihnen einen Zettel, dass sie sich bei uns in der Pension melden sollen“, schlägt Sabine vor, bevor sie sich einträchtig auf den Weg machen, um mit der Inspektionsrunde bei den anderen Mobilheimen zu beginnen.

Bis auf Routinearbei­ten wie Vorhänge und Decken waschen, alles gründlich schrubben und Silkonfugen erneuern fallen nur wenige grobe Reparaturen an. Die „Kleine Villa Mahler“ würde dringend eine neue Ter­rasse brauchen und im kleinen „Lake´s“ gibt es offensicht­lich eine Verstopfung im WC - eine wenig appetitliche Nasenattacke.

Immer wieder schaut Sabine zum kleinen Schloss am Wörthersee, in der Hoffnung, dass die unbekannten Bewohner auftauchen. Nichts.

Es lässt ihr keine Ruhe. Sie muss etwas tun. Aber was?

 

 

2 - Eheliche Widrigkeiten

 

Tonja taucht schnell noch einmal genüsslich im warmen Wasser des Wör­thersees unter, bevor sie prustend und nach Luft schnappend nackt zum Auto saust, ihr Handtuch vom Beifahrersitz ihres Taxis schnappt, sich darin einwickelt und am Stand auf und ab hüpft um sich wieder aufzuwärmen. Im Gegensatz zum Wasser ist die Temperatur an der Luft empfindlich abgekühlt.

Eine Schande ist das! Ihr Göttergatte - woher kommt eigentlich dieser völlig bescheuerte Ausdruck? – ihr Ehemann Mario steht wahrscheinlich seit geschlagenen zehn Minuten unter der wohlig warmen Dusche in ihrem neuen Ba­dezimmer, während sie sich hier mitten im Herbst im Seewasser frisch machen muss. Die Haut kribbelt, die Fußsohlen spürt sie kaum. Schnell schlüpft sie in Unterwäsche, Socken, Jeans und Pullover. Ah. Das tut gut.

......

 

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