Leseprobe
Letzter Vorhang
Krimi am Wörthersee III von Christina Jonke
Impressum:
Letzter Vorhang – Krimi am Wörthersee III
Christina Jonke
© 2020 Jonke text & theater
Copyright Text: Christina Jonke
jonkeonline.at
Copyright Umschlaggestaltung und Fotografie:
Werner Ressi
ressi graphics
1 - Prolog: Schönes Sterben
Es ist nicht kalt. Nicht heiß. Nicht hart. Nicht weich. Mir tut nichts weh. Es riecht nicht. Doch! Da ist ein Hauch von Erinnerung! Ganz leicht nur eine Spur von Moder? Würzig. Nicht unangenehm. Wie schön das Blätterdach über mir. Fast bunt. Mit einem zarten Schleier. Wie Nebel. Und der Himmel so nah.
Ich hätte nicht gedacht, dass es so sein wird. Schon so lange habe ich nicht mehr darüber nachgedacht, wie es sein wird. Wenn ich sterbe. Wenn ich tot bin.
Alle haben Angst vor dem Sterben. Ich auch. Also ich hatte. Dabei ist es nur eine winzig kleine Schrecksekunde. Im Fallen habe ich gedacht: Nein! Ich muss doch … ich will noch … ich brauch etwas mehr Zeit! Und dann?
Dann ist es egal. Plötzlich stellt sich da eine Leichtigkeit ein, so muss sich eine Daunenfeder fühlen, wenn sie langsam Drehung für Drehung zu Boden tänzelt.
Es ist gut wie es ist. Schön. Schwerelos. Ewig. Und nichts mehr wollen, sollen und müssen. Friedlich. Fast fröhlich. Wenn ich das früher gewusst hätte, dann … Ja? Was dann?
Nichts dann! Ich habe mich ja bisher nie wirklich mit dem Sterben beschäftigt. Weggeschoben habe ich jeden Gedanken daran. Keine Zeit. Noch nicht meine Zeit. Dafür habe ich noch lange genug Zeit – das habe ich mir gedacht.
Und dann geht es so schnell, dass du es gar nicht erfassen kannst. Ein Schubs an der Schulter, ein tiefer Fall, kurz Angst vor dem Aufprall. Ja, ich gebe es zu, vor mir selbst gebe ich es zu: ich hatte Angst. Vor dem Aufprall! Aber nach dem eher weichen Fall hätte ich nicht gedacht, dass ich wirklich sterben muss.
Dass ich in den Himmel komme! Was für eine Überraschung. Also wenn ich mich hier so umsehe, nehme ich jedenfalls stark an, dass es der Himmel ist. Oder das Vorzimmer zum Himmel. Wo ist eigentlich die Vorzimmerdame? Oder der Vorzimmerengel? Das Empfangskomitee? Man lässt mich hier einfach so herumliegen? Stilvoll ist das nicht! Elisabeth meinte ja immer, alles hat Stil. Schlechten oder guten. Aber kein Stil, das ginge nicht.
Wieso denke ich jetzt überhaupt an Elisabeth? Meine Ex seit gut zehn Jahren! Sandkastenliebe hin, Ehefrau her! Elisabeth! Eigentlich hatten wir es ganz gut miteinander. Erstaunlich, was sie nach der Scheidung alles aufgebaut hat. Leicht habe ich es ihr nicht gemacht! Aber wie hätte es denn auch ausgesehen, wenn ich mich als Platzhirsch der Immobilienbranche von ihr hätte ausbooten lassen! Bei so einer spannenden Hotel- und Shoppingtempel-Ausschreibung. Das musste sie doch einsehen.
Dabei hätte ich meinen Erfolg gerne mit ihr gefeiert. Die Elisabeth, die wusste, wie man feiert! Na ja. Das wird ja nun nichts mehr.
Kommt nun vielleicht bald einmal jemand um mir zu sagen, wo ich hinsoll? Verdammt noch einmal, wissen die hier nicht wer ich bin?
„Hallo! Ist hier jemand?“
Was soll das hier? Ist das Absicht, dass sich keiner kümmert? Soll ich hier etwa meine Sünden abbüßen? Ich dachte, dazu gibt es das Fegefeuer!
Nein.
Nein, nein.
Ich habe nichts gesagt.
Man soll ja nichts heraufbeschwören.
Warte ich eben noch ein bisschen. Schließlich liege ich ja durchaus angenehm. Ich habe keinen Durst und keinen Hunger. Vielleicht ist mir ein bisschen langweilig. Ja. Nur so herumliegen, das bin ich nicht gewohnt. Das konnte ich noch nie. Als Toter lernt man wahrscheinlich auch nichts mehr dazu, denke ich. Irgendwie komisch. Da hast du das ewige Leben und dann tut sich nichts mehr? Kein sehr sinnvolles Konzept würde ich sagen. Aber wer weiß das schon so genau.
Ha! Es gibt doch neue Ansätze, wie es scheint. Ich habe mich bisher noch nie selbst hinterfragt und kaum lieg ich da, schon zweifle ich an meinen eigenen Gedanken!
So etwas!
Das hier hat sicher die Freya für mich eingerichtet. Eine Geliebte, wie sie im Buche steht. Sexy, intelligent, herausfordernd. Und schön! Wo auch immer wir bei gesellschaftlichen Anlässen gemeinsam aufgetaucht sind, habe ich die bewundernden Blicke genossen. Auch die neidvollen. Denen ich die Gedanken angesehen habe: „Was will der kleine alte Zausel mit der schönen Frau. Was findet die bloß an ihm?“
Na ja. Ich war ja auch nicht immer alt und unsere Beziehung ist ja schon ziemlich beständig. Gewesen. Freya ist die Frau, die sich darum bemüht hat, aus mir einen besseren Menschen zu machen. Immer ist ihr das natürlich nicht gelungen. Ein Schweinehund war ich. Egoistisch. Geldgierig. Machtgeil. War schon schön. Aber schöner war es, wenn sie mich zu irgendeiner Charity-Veranstaltung überredet hat, mich dann bewundernd anlächelte und sagte: „Geht doch, du alter Raffsack!“ Dieses Lächeln war tausendmal mehr wert als die Zahlen am Konto, die ja ohnehin nur Fiktion sind. Eine Abmachung unter jenen, die das materielle Sagen haben.
Also kümmert sich hier bald einmal jemand um mich? Wie lange soll ich denn hier noch herumliegen? Verdammt. Ich krieg keine Luft. Was ist denn da los. Luft! Hilfe! Was soll denn das… wie soll ich denn ohne Luft …
2
„Hierher! Fefi, komm sofort zurück, bei Fuß“, tönt es um die Burgmauer der Ruine Leonstain. Fefi scheint schlecht zu hören. Kein Wunder, sind die Befehle doch vom lauten Verkehrslärm der nahen Autobahn unterlegt.
„Fefi! Bei Fuß“, ruft Sarah Gollner und pfeift gleich auch noch durch die Finger. Da kommt ihre Fefi angerannt, einen Schuh, der größer ist als der Hund selbst, schwer im Maul schleppend.
„Fefi! Aus!“
Der Hund legt den Schuh vor Sarahs Füße und bellt in höchster Rauhaardackelmanier. „Pscht! Im Wald ist man still“, schimpft Sarah, während sie den Schuh betrachtet.
„Wo hast du denn den wieder ausgegraben?“, fragt sie um gleich im Befehlston anzuschließen: „Bring das zurück, Fefi! Zurück!“ Mit ausgestreckter Hand und dem Zeigefinger zeigt sie in die Richtung, aus der Fefi gerade gekommen war. Der Hund schnappt sich seine Beute und läuft davon. Sarah eilt hinterher, ihre Wanderstöcke resolut in den weichen Waldboden stechend. Allerdings keine zwanzig Schritte lang. Dann bleibt ihr schier das Herz stehen. Da liegt ein Mann. Direkt unter der Burgmauer. Da wo sie am höchsten über die Autobahntrasse ragt.
Ganz erfahrene Ehrenamtliche – allerdings Wasserretterin - kniet sie sich neben den Mann hin und versucht seinen Puls zu fühlen. Das wäre allerdings gar nicht nötig gewesen, schaut er sie doch aus toten Augen an. Da ist nichts mehr zu machen. Reflexartig ruft sie den Notdienst, gibt das Problem und die Unfallstelle bekannt: Pörtschach, gleich hinter der Gloriette unter der Burgruine Leonstain.
Nein, sie wird nichts am Unfallort verändern.
Nein, sie wird keine weiteren Spuren vernichten.
Ja, sie bleibt vor Ort, um eine Aussage zu machen.
Das alles verspricht sie, ein mulmiges Gefühl im Magen. Sie hat noch nie einen toten Menschen gesehen. Was war hier wohl passiert, überlegt sie. Ist der Mann unglücklich gestürzt? Hat ihn der Herztod ereilt? Mit der freien Hand streichelt sie ihre Rauhhaardackeldame Fefi. Mehr um sich selbst zu beruhigen, als den Hund.
Sie setzt sich auf einen Baumstumpf. Irgendwoher kennt sie den Mann. Aber sie kommt nicht drauf, um wen es sich handelt. Persönlich kennt sie ihn wohl nicht. Vielleicht ist es irgend so ein B- oder C-Promi, denkt Sarah. Kein schöner Tod. Ob er sich vielleicht sogar selbst in die Tiefe gestürzt hat? Für Liebeskummer ist er wohl schon zu alt, denkt sie. Spielschulden vielleicht? Seine Kleidung ist sichtlich vom Feinsten. Da kennt sich Sarah aus, schließlich arbeitet sie bei einem angesagten Modelabel, das in jeder größeren Stadt eine Niederlassung hat. Da bekommt man einen Blick für edles Tuch – und das war ein solches. Der Schuh scheint auch nicht billig gewesen zu sein. Leder. Rahmengenäht.
„Ah, da sind Sie ja! Sie haben uns angerufen, oder?“ Zwei Polizistinnen in Uniform, gefolgt von zwei Rettungssanitätern stehen plötzlich vor Sarah. Erschrocken steht sie auf.
„Ich habe Sie gar nicht kommen gehört. Ich war so in meine Gedanken vertieft. Ich glaub ich kenne den Mann von irgendwoher. Aber ich komm jetzt einfach nicht darauf, wer er ist“, Sarah ärgert sich über ihren unsicheren Redeschwall, aber da ist es schon zu spät.
„Sie kennen den Mann also? Und haben ihn hier gefunden?“ Sarah nickt und schwört sich gleichzeitig, dass sie keinen einzigen unsachlichen Kommentar mehr abgeben würde. Es reicht schon, dass sie hier nun Rede und Antwort stehen muss, obwohl sie heute eigentlich ihren freien Tag hat und noch ins Sonnenstudio gehen wollte. Das kann sie vergessen.
Die beiden Rettungssanitäter kümmern sich um das vermeintliche Unfallopfer, schauen zu den Polizisten und schütteln bedauernd den Kopf.
Das hätte Sarah ihnen auch zweifelsfrei sagen können, dass da nichts mehr zu machen war.
„Wo ist die Frau, die den Toten gefunden hat?“ Benjamin Groß, Kriminalgruppeninspektor der Klagenfurter Polizeidirektion ist ein wenig außer Atem und fixiert Sarah schon mit einem zielsicheren Blick, noch bevor seine uniformierten Kolleginnen reagieren.
„Ich habe nichts angefasst. Außer den Mann da. Ich musste ja schauen, ob er vielleicht noch lebt, ob ich helfen kann“, rechtfertigt sich Sarah und nimmt Bens Visitenkarte mit der Aufforderung entgegen, am Nachmittag ins Präsidium zu kommen, damit man ihre Aussage zu Protokoll nehmen kann.
Auch das noch, denkt sie. Der Tag ist also vollends gelaufen.
„Kann ich dann jetzt gehen?“ will sie wissen und ist froh, als Ben nickt. Denn Fefi kann sich nicht beruhigen und ihr Gekläffe nervt bereits alle. Froh zieht Sarah von dannen, bevor irgendjemand auf den Gedanken kommen könnte, sie noch etwas zu fragen.
„Wer war das?“, will Tonja Stein wissen, die gerade mit ihrem Taxi noch eine Fuhre vom Bahnhof in Krumpendorf zu einer Pension in Techelsberg gehabt hat. Der Tatort lag also quasi auf dem Weg. Ben klärt sie in aller Kürze über die Geschehnisse auf – viel weiß auch er noch nicht. Mittlerweile wuselt es nur so vor Kriminalbeamten in weißen Overalls, die das ganze Gelände um die Burgruine mit den rot-weißen Absperrbändern abgesichert haben und die zu Hauf neugierige Spaziergänger abwimmeln.
„Es gibt hier rein gar nichts zu sehen!“ lautet die Devise, die überhaupt nicht zu stimmen scheint. Schließlich ist es augenscheinlich, dass hier etwas passiert sein muss.
„Selbstmord?“
„Möglich. Vielleicht auch ein Unfall. Herzinfarkt? Was weiß ich? Wir müssen warten, bis uns die Techniker etwas geben“, zuckt Ben mit den Schultern.
„Herr Inspektor! Ich hab da etwas, das Sie interessieren könnte“, ruft der Kriminaltechniker Johannes Ernst auch schon und bleibt erstaunt mit seinem Blick auf Tonja stehen.
„Tonja? Das ist aber eine Überraschung! Auf Krimi-Recherche?“
„Jössas. Johannes! Ich wusste ja gar nicht, dass du …“ Ja, was wusste sie nicht? Dass er bei der Kripo ist? Nein, das wusste sie nicht. Nur dass er sich für Kriminelles jeder Art interessiert. Das hat er ihr auf der Party nach der Buchpräsentation erzählt. Ihre erste Buchpräsentation! Was für ein erhebendes Gefühl, das erste Buch veröffentlicht zu haben.
„Träumen kannst du zuhause, liebe Schwägerin! Komm, jetzt“, Benjamin drängt Tonja vor sich auf den schmalen Steig vorwärts, der rund um die Burgruine führt. Sie signalisiert mit einem Schulterzucken in Johannes´ Richtung, dass sie keine Zeit für privaten Tratsch hat.
Vor einer Art Zeltlager ohne Zelt bleiben sie stehen. In einer Asservatenbox liegen schon jede Menge Dinge, eingehüllt in Plastiktüten, zur weiteren Untersuchung.
„Ein ganz spezielles Lager, wie es scheint: vertocknete Rosen, mindestens zwanzig Teelichter in Gläsern, hier zwei Decken und Pölster in einem Plastiksack, vor Nässe und Krabbeltieren geschützt, eine Plane, die wohl als Dach herhalten musste und das beste…“, Johannes Ernst geht ein paar Schritte zur Seite, hinter eine kleine überdachte Nische, „… zwei Luxusliegen der Marke Manufaktum.“
„Ein Liebesnest“, entfährt es Ben und Tonja zeitgleich und alle lachen.
„So schaut es zumindest aus“, bestätigt Johannes. „Wir werden sehen, ob es Querverbindungen zu unserem Opfer gibt, DNA Spuren. Oder ihr findet heraus, wer hier wen zum traulichen Tete á Tete getroffen hat.“
„Würdest du deine Angebetete hierher einladen? Sex zwischen Mücken und Schlangen?“ Ben schüttelt sich bei dem Gedanken und Johannes winkt verneinend ab.
„Liebesspiele im Freien sind schon etwas Besonderes“, gibt sich Tonja freizügig, betont aber auch, dass ihr Fund hier nach einer Dauereinrichtung aussieht.
„Ein, zwei Mal ist das vielleicht ganz romantisch, aber das hier … also ich hätte ja Angst vor irgendwelchen Tieren, die sich in die Bettwäsche einnisten. Grauslich, irgendwie. Aber umso mehr bin ich darauf gespannt, wer sich hier eingerichtet hat.“
„Herr Inspektor! Da gibt es noch etwas Interessantes“, hört Ben den Kriminaltechniker rufen. Bei jenem angelangt, hält er zwei Trollys in die Höhe.
„Voller Klamotten!“
Neugierig öffnet Tonja den größeren der beiden Koffer und zieht staunend ein weinrotes historisches Kleid mit schwarzem Spitzenbesatz heraus.
„Einen exquisiten Geschmack hat unser Liebespaar“, pfeift Johannes durch die Zähne während Ben einen Gehrock und dazu passende Pumphosen hervorholt. Tonja sucht nach den Kleideretiketten.
„Die sind von einem Kostümversandhaus!“
„Theaterkostüme?“
„Was macht man hier mit Theaterkostümen? Hier ist doch weit und breit kein Theater!“
„Vielleicht hat jemand einfach nur die Koffer geklaut, ohne zu wissen, was sich darin befindet, war dann enttäuscht ob seiner seltsamen Beute und hat alles einfach hier stehen lassen?“ Johannes ist stolz auf seine Theorie.
„Das macht keinen Sinn“, korrigiert Ben. „Wenn das Diebesgut nichts wert ist, lassen die Langfinger die Sachen meistens einfach dort stehen, wo sie gerade vorbeikommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendwer die Sachen hierherschleppt, ohne sie genau hier zu brauchen.“
„Rollenspiele?“ versucht Tonja ihr Rateglück.
„Möglich. Aber dann wären die Sachen wohl eher direkt beim Liebesnest abgestellt gewesen.“
„Das stimmt“, gibt Tonja Ben Recht und kombiniert weiter. „Dann gehören die Koffer also jemand ganz anderen. Jemanden, der hier oben Kostüme braucht.“
„Stadtführer. Es finden doch auch auf so einer Ruine immer wieder Führungen statt“, weiß Johannes.
Johannes schaut im zweiten Koffer nach und findet eine Mappe.
„Lumpazivagabundus. Textbuch. Josef Berger.“
„Da kommen wir der Sache also schon näher. Der Josef Berger wird zwar nicht unbedingt das Kleid brauchen, aber ich bin mir sicher, dass es sich hier um zwei Koffer handelt, die zu Theaterleuten gehören. Und mit dem Herrn Josef Berger werden wir einfach einmal unsere Recherchen beginnen.“
Bens Mobiltelefon läutet, unwillig nimmt er das Gespräch entgegen.
„Keine Papiere, keine Brieftasche? Seltsam. Du meinst, das machen nur Selbstmörder? Ich weiß nicht Recht. Irgendwie sagt mir mein kleiner rechter Finger, dass sich unser Patient hier nicht selbst in die Tiefe gestürzt hat.“ Dann hört er eine Weile zu und nickt. „Verstehe. Gut, dass der Kollege die Gesellschaftsseiten vom Kärntner Monatsmagazin liest. Der Walter Zemmler ist das also. Ein ordentliches Kaliber, der Herr Immobilienmagnat, wie man so schön sagt. Danke, jedenfalls. Gut gemacht!“
Als er sich wieder umdreht, sieht er Tonja und Johannes tuscheln und lachen. Er gönnt Tonja die ganz offensichtliche Aufmerksamkeit des Kollegen. Hat sie sich verdient.
Nachdem ihr Mann Mario, also Bens Bruder, sie derart an der langen Hand verhungern lässt. Wieder so ein Sprichwort, denkt Ben. Aber weil es wahr ist! Seit die beiden sich quasi auf Zeit getrennt haben, läuft eine ganz grausliche on/off- Beziehung zwischen den beiden. Nix Richtiges, eben. Ja, Tonja hat Marios sexuelle Vorliebe fürs Verkleiden bei einer Geburtstagsparty herausposaunt. Eine Promille-Geschichte. Blöd. Peinlich. Ja. Aber irgendwann ist auch genug damit, die beleidigte Leberwurst zu spielen, findet Ben. Mario ist da wirklich extrem stur. Aber es geht Ben nichts an. Außer, wenn Tonja ihn wieder darum bittet, ein gutes Wort für sie bei Mario einzulegen. Allerdings ist das in letzter Zeit nicht mehr vorgekommen. Allmählich findet sie sich wohl damit ab, dass sie kein Paar mehr sind. Besser so.
Komisch eigentlich. Aber mittlerweile ist ihm seine Schwägerin näher als der eigene Bruder. Wie eine Schwester ist sie. Eine Schwester mit der man durch dick und dünn gehen kann. Er ist froh, dass er sie immer wieder in seine Ermittlungen einbauen kann. Sie hat ein gutes Gespür für die Menschen, trifft immer den richtigen Ton in den Gesprächen. Zuerst wollte sie ja nur Material für ihren Kriminalroman sammeln. Mittlerweile aber ist sie eine sehr hilfreiche Detektivin geworden.
Er nimmt sich vor, jetzt endlich einmal ihren Roman zu lesen. Nach der aktuellen Ermittlung wird er sich Urlaub nehmen, sich in den Liegestuhl auf der Terrasse des Camps Weißes Rössl knallen, lesen, einen Rössl-Campari neben sich und hin und wieder den sensationellen Blick auf den Wörthersee genießen. Gerade jetzt, wenn die Blätter mehr und mehr den Ausblick freigeben, ist es am schönsten am größten Kärntner See.
Ben schaut auf seine neue Armbanduhr – ein Geschenk von Sabine – zu seinem 45. Geburtstag. Kurz überlegt er, dann winkt er Tonja zu sich.
„Ich denke, es reicht, wenn wir den Berger morgen einen Besuch abstatten. Ich will heim.“
„Alles klar, Chef. Dann lass uns fahren!“
Sie verabschiedet sich noch von Johannes, was Ben heillos übertrieben findet. Aber bitte. Die beiden verstehen sich eben ganz offensichtlich gut.
3
Tonja liebt das bunte Terrassenlicht vor der Gig-Bar und gönnt sich an besonderen Tagen dort gern einen Cocktail. Oder zwei. Oder so.
Schwungvoll nimmt sie die stimmungsvoll beleuchtete Treppe und ist sich ihres Auftritts bewusst. Wenn sie es draufanlegt, sieht sie richtig gut aus.
Für die Jahreszeit ist es ein lauer Abend und die Tische sind gut besetzt. Zufrieden wirft sie ihre Mähne über die Schulter und lächelt Johannes zu, der bereits an einem Tisch mit Sicht auf den Lendkanal auf sie wartet. Es wird ein schöner Abend werden, ist sich Tonja sicher.
„Na? Wartest du schon lange?“
„Nein. Ich wollte nur vor dir da sein, um dich kommen zu sehen“, Johannes steht auf und rückt für Tonja einen Stuhl vom Tisch.
Nicht schlecht, der Herr hat Manieren, bemerkt Tonja, nimmt Platz und freut sich auf einen Caiphi. Johannes hat ein kleines Bier vor sich. Immerhin kein großes, denkt Tonja, die es nicht ausstehen kann, wenn ihr Gegenüber sie mit einem Atem, der nach Bier stinkt, belästigt.
„Also ich freu mich riesig, dass du >Ja< gesagt hat“, beginnt Johannes.
„Ja?“
„Ja!“
Ihr gemeinsames Lachen, das schon ein mehr an Intimität verspricht, als es der Augenblick zulässt, treibt Tonja eine leichte Röte auf die Wangen. Es fühlt sich ganz gut an, bemerkt sie.
„Also, dass wir beide hier sitzen! Nie hätte ich zu träumen gewagt … na ja du weißt schon … die berühmte Krimiautorin Tonja Stein lässt sich von einem unwichtigen kleinen Kriminaltechniker auf einen Cocktail einladen. Und jetzt sitzen wir hier. Toll!“
„Also weder bin ich berühmt noch so eine eingebildete Schnepfe, dass ich nicht gerne mit einem Quasi-Kollegen auf einen Drink gehe. Was hast du bloß für ein Bild von mir, Herr Ernst?“
„Dass dich der ehrwürdige Groß zu seinen Ermittlungen mitnimmt, ist nicht von schlechten Eltern. Darf der das? Ich meine, ist das ganz offiziell genehmigt?“
„Wer lang fragt, geht lang irr. Und nein. Es ist nicht offiziell. Also sei so gut, und rede einfach nicht weiter darüber – auch nicht mit deinen Kolleginnen und Kollegen.“
„Ich werde schweigen wie ein Grab,“ grinst Johannes, der sich freut, dass sie beide jetzt ein gemeinsames Geheimnis haben.
„Benjamin Groß ist mein Schwager“, fühlt sich Tonja bemüßigt aufzuklären. „Ich fahre ihn mit dem Taxi überall da hin, wo er hinmuss und ich darf bei den Befragungen dabei sein. Das ist der Deal.“
„Hat der denn keinen Dienstwagen? Ich meine, schließlich ist er doch Kriminalgruppeninspektor! Da steht ihm doch ein Dienstwagen zu.“
„Der ist ständig in der Inspektion oder aber schon vergeben, wenn Ben erst um zehn seinen Dienst antritt. Das ist seine persönliche kleine Macke. Aber, das ist auch streng geheim!“
Johannes nickt verschwörerisch.
„Deshalb das Taxi. Ich verrechne ihm ja auch nichts. Dafür kann ich die Recherchen – natürlich bearbeitet und verändert – verwenden. Das bringt mich beim Schreiben richtig gut weiter.“
„Dein Buch ist super geworden. Wieviel davon ist Fiktion?“
„Das kann ich heute gar nicht mehr so wirklich sagen. Du schreibst dir alles mögliche auf, ordnest es neu, gibst den Figuren andere Namen, die Beziehungen zueinander werden einer Art Zufallszuordnung unterzogen und voilá, eine neue Geschichte entsteht.“
Fasziniert hört Johannes zu. Wahrscheinlich ist er im Begriff seine erste Verliebtheit zu vertiefen.
„Und du?“ Tonja ist ein wenig irritiert von seinem intensiven Blick. Nachdem sie keinerlei Reaktion auf ihre Frage bekommt, wiederholt sie: „Und du? Was treibst du so, wenn du gerade keine chemischen Analysen vor dir hast?“
„Ich? Äh…“, kommt es wenig geistreich weil die Gedanken gerade so konzentriert bei Tonja und dem eventuell in Aussicht stehenden weiteren Verlauf des Abend waren.
„Ich? Ähm, ja. Ich. Ich überlege, ob ich nicht auch ein Buch schreiben soll.“
„Das ist ja spannend. Auch einen Krimi?“ Tonja ist nicht besonders darauf erpicht in unmittelbarer Umgebung quasi Konkurrenz zu bekommen. Als ob Johannes den leicht abschätzigen Unterton, der wirklich nur für ganz feinsinnige Ohren zu bemerken war, realisiert hätte, winkt ab.
„Aber nein. Das war gerade nur so eine spontane Idee. Ich hab überhaupt kein erzählerisches Talent. Das hat mir schon meine Lehrerin in der Volksschule attestiert. Johannes, hat sie gesagt, nein Hansi, Hansi hat sie gesagt, deine Aufsätze sind eine Katastrophe. Komm bloß nicht auf die hanebüchene Idee, einmal ein Dichter werden zu wollen.“
Tonja muss ob der Art und Weise, wie Johannes die Lehrerin nachäfft, herzlich lachen.
„Nein. Aber, weißt du was mich ärgert?“
„Nein. Erzähl!“
„Die ganzen TV-Krimis, aber auch viele Romane verwenden kriminaltechnische Kniffe, dass es einem Profi die Haare zu Berge bläst. Alles erstunken, erlogen und wild daher fantasiert. Deshalb finde ich es auch so großartig, dass du zuerst in der Realität recherchierst.“
„Echt? Was zum Beispiel?“
„Allein diese 30 Sekunden, die Jemand einen mutmaßlichen Entführer am Telefon hinhalten soll, damit ihn die Polizei orten kann. Absoluter Schwachsinn! Die Polizei hört digital ab. Es gab immer schon die Möglichkeit jeden Telefonanschluss abzuhören und zuzuordnen. Immer schon! Und im digitalen Zeitalter erst recht.“
„Aha. Und was noch?“
„Das ist auch etwas, das mich jedes Mal richtig ärgert: Es wurde eingebrochen. Die Kriminaltechnik untersucht das Schloss. Es ist unversehrt. Und der Beamte im Fernsehen sagt dann prompt bedeutungsschwanger, dass das Opfer den Einbrecher gekannt haben muss.“
„Was ist denn daran falsch?“
„Es kann sein, ja. Aber hast du noch nie die Tür geöffnet, einfach nur, weil es geklingelt hat?“
„Na ja. Mach ich aber eigentlich immer seltener. Man weiß ja nie“, überlegt Tonja.
„Gut. Aber wenn dir durch die Gegensprechanlage jemand erzählt, er hätte ein Paket für dich?“
„Würde ich öffnen, ja. Allerdings auch nur, wenn ich tatsächlich auf eines warten würde.“
„Ok. Es könnte einer aber auch sagen, dass er an deinem Auto einen Parkschaden verursacht hat.“
„Woher will der wissen, welches Auto meines ist?“
„Du bist ganz schön gewieft!“
Die beiden lachen. Aus dem Gespräch ist ein Spiel geworden.
„Er sagt, er hat Blumen von mir für dich.“
„Ja, da würde ich wahrscheinlich öffnen“, gibt Tonja nach.
„Und zack, zieht er dir eine Eisenstange über den Kopf oder drängt dich in den Vorraum, überwältigt, fesselt und knebelt dich oder irgend etwas Grausliches in der Art.“
Während Johannes noch das eine oder andere Detail aus seiner Trickkiste zaubert, beobachtet ihn Tonja schmunzelnd. Schaut nicht schlecht aus, der Kollege. Südländischer Typ, volles dunkles Haar, gepflegte Erscheinung. Sympathisch, redegewandt. Ja, ein durchaus interessanter Mann. Ob er verheiratet ist? Sie schaut auf seine Hände. Kein Ehering. Das muss aber nichts heißen. Sicher ist er in einer Beziehung. Schon lange. Aber warum flirtet er dann so offensichtlich mit ihr, überlegt Tonja und merkt, dass es allmählich an der Zeit ist, sich wieder ins Gespräch einzuklinken.
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Zur Autorin:
Christina Jonke lebt mit Familie in Klagenfurt am Wörthersee und ist schreibend hauptsächlich mit dem Theater verbunden.
Nach einer jahrzehntelangen Phase der Krimikonsumation kam der Moment, an dem es hieß „schreib doch selbst mal Krimis“ statt sie immer nur zu lesen. Et voilá, nun liegt bereits der dritte Kriminalroman vor.
Weiters bereits erschienen:
Die alte Villa am See – Krimi am Wörthersee I
Sushi-Taxi – Krimi am Wörthersee II